Kaiser Friedrich II in Marburg

Der 1. Mai 1236 gehört ohne Zweifel zu den herausragendsten Ereignissen in der Geschichte Marburgs. An diesem Tag wurden die sterblichen Überreste der heiligen Elisabeth aus ihrer bisherigen Grablege in die damals noch im Bau befindliche Elisabethkirche überführt. Dies geschah im Beisein zahlreicher Reichsfürsten,der Erzbischöfe von Mainz und Trier, und unter aktiver Mitwirkung des Kaisers Friedrich II. aus dem schwäbischen Geschlecht der Staufer stammend und Enkel Kaiser Friedrich Barbarossas.

Wie uns in einem zeitgenössischen Bericht geschildert wird, habe sich der Kaiser zusammen mit seinem Sohn Konrad,(…) zu dem angesagten Fest der Erhebung der Gebeine Elisabeths, der ruhmreichen Dienerin Gottes nach Marburg begeben. Dies tat er mit solcher Ehrfurcht, dass er den ganzen Strahlenglanz der kaiserlichen Würde ablegte und die schlichte Gestalt des Armen und Pilgers annahm, da er(Friedrich) es als angemessen erachtet habe, aus Ehrfurcht vor dem König der Könige (= Jesus Christus) die erhabene kaiserliche Hoheit (=sich selbst) zu erniedrigen und dem Vorbild der Dienerin Gottes zu folgen, die die Mittellosigkeit und Kleidung der Minderschwestern (Franziskanerinnen) geliebt und die Annehmlichkeiten königlichen Hoflebens verabscheut habe. (aus der sog. Zwettler Vita) Barfuß also und in ein einfaches graues Gewand gekleidet, begann Friedrich, den ersten Stein entfernend, mit der Öffnung des Grabes.
Dieses Ereignis hatte, wie uns zeitgenössische Chronisten berichten, eine wahrhaft unübersehbare Menschenmenge angezogen. Die Zahl 1,2 Millionen, zu der sich ein Kölner Chronist verstieg, dürfte wohl überzogen sein, mehrere Hunderttausend sind aber durchaus vorstellbar. Sicherlich verfolgte Friedrich II. mit der Inszenierung dieses Auftritts politische Absichten in seinem Verhältnis zum Papst wie auch zu den Reichsfürsten. Und der goldene Schrein sollte natürlich den Lebenden, damaliger Sitte gemäß, zu ständig sichtbarer Erinnerung dienen.In dieser Zuschauermenge waren mit Sicherheit auch damalige Langensteiner, die sich nach Marburg auf den Weg gemacht hatten. Wie viele wissen wir nicht, möglicherweise jeder, der noch einigermaßen gehen konnte. Immerhin ist Marburg von Langenstein aus in einem knappen Tagesmarsch gut zu Fuß erreichbar und zu dieser Jahreszeit waren die meisten auf Hof und Acker durchaus abkömmlich. Damit können wir einen Tag, der gewiss kein normaler Tag war, im Leben damaliger Langensteiner bald 800 Jahre später für uns auch in Einzelheiten wieder sichtbar machen.
Auffällig ist auch ein vergleichbarer Akt Friedrichs II. 20 Jahre früher, der die Bedeutung und den Rang der heilig gesprochenen Landgräfin nachdrücklich unterstreicht. Zwei Tage nach seiner Königskrönung am 25. Juli 1215 in Aachen, verfügte Friedrich, die Gebeine Karls des Großen in einen vergoldeten und reich geschmückten Silberschrein (ähnlich dem Elisabethschrein) zu überführen, eine mit Marburg vergleichbare Inszenierung also. Dabei „… ergriff der König selbst einen Hammer, legte seinen Mantel ab, bestieg mit einem Handwerker das Gerüst und nagelte mit dem Meister zusammen vor aller Augen das Behältnis fest zu.“(aus Reiner von Lüttich, Annalen)
Neben der Erhebung der Gebeine der Heiligen, dürfte vor allem der kaiserliche Hofstaat auf die anwesenden Zuschauer Eindruck gemacht haben, wie wir dies von vielen Zeitgenossen berichtet wird. Ein Eindruck der von Friedrich durchaus so gewollt war.
Den Kaiser, der, mit Lücken, ein Reich von der Nordsee bis Sizilien beherrschte, begleitete stets große Teile seines Hofes, der vor allem aus geistlichen und weltlichen Beamten bestand, Dichter, Kanzleischreiber und Gelehrte gehörten auch dazu. Gerade die letzte Gruppe war „international“, neben Deutschen und Italienern auch Franzosen, Engländer, Schotten, sowie, sehr zum Missfallen der Kirche, Juden und Muslime! Weiter dazu der kaiserliche Marstall und die aus muslimischen Sarazenen rekrutierte Leibgarde in ihrem malerischen Äußeren.
Daneben führte Friedrich II., naturwissenschaftlich vielseitig interessiert, ständig eine regelrechte Menagerie mit sich. Da gab es zum einen die Jagdfalken des Kaisers, von ihren Falknern geführt und versorgt, zum anderen exotische Tiere: Kamele, Affen, Leoparden und auch Löwen. Tiere also, die man bislang in hessischen Landen noch niemals zu Gesicht bekommen hatte. Ein umfangreicher Tross aus Hilfspersonal diente der Versorgung des Hofstaats. Handwerker, angefangen von den (Waffen-)Schmieden – meist Araber und damit legendär für ihr Können -, bis hin zu den für ihre Fingerfertigkeit ebenso berühmten sarazenischen Näherinnen, die aus edelsten Stoffen und Applikationen überwältigend schöne Kleidungsstücke herzustellen vermochten. Dazu übriges Dienstpersonal, wie z. B. Pferdeknechte, Boten, Küchenhilfen und weiteres Dienstpersonal.
Und schließlich wollten der Kaiser und sein Hofstaat auch unterhalten werden! Dafür waren Artisten und Gaukler, Sänger, Musiker und sarazenische Tänzerinnen dabei! Vorstellbar, dass vor allem letztere manchem oberhessischen Zeitgenossen zu anhaltend sehnsuchtsvollen Erinnerungen verholfen haben!