Was wäre gewesen wenn...?

Bonifatius, Missionar, erster Reformator, Apostel der Deutschen, Kirchenorganisator, Heiliger und der Lange Stein
„Erfüllt von großer Besorgnis … weil, wie wir erfahren haben, … einige Stämme in Germanien östlich des Rheins umherirren und sich gleichsam unter dem Scheine christlichen Glaubens der Götzenverehrung hingeben, andere aber, die bisher weder die Erkenntnis Gottes besitzen noch im Wasser der heiligen Taufe gebadet sind, sondern gleich rohen Tieren als Heiden den Schöpfer nicht erkennen, sind wir notgedrungen darauf bedacht gewesen, … unsern verehrungswürdigen Bruder Bischof Bonifatius in diesen Gegenden zu entsenden, damit er ihnen das Wort des Heils verkünde und dadurch zum ewigen Leben verhelfe, und wenn er erfährt, dass etwa welche irgendwo vom Pfade des rechten Glaubens abgewichen sind,… diese zurechtweise und durch seine Belehrung zum Hafen des Heils zurückbringe …, so lautet ein Passus aus dem Empfehlungsschreiben Papst Gregors II. vom 1. Dez. 722 an die Christen in Germanien, um den neuen Missionsbischof anzukündigen und seine zukünftige Aufgabe zu benennen. Und wer genau ist dieser Missionsbischof und in welcher Beziehung steht er zu Langenstein?
Allein die wohl jahrhundertealte Vermutung, Bonifatius selbst habe auf dem Kirchhügel im heutigen Langenstein neben dem Menhir eine Kapelle errichten lassen, damit also auch hier christianisierend direkt gewirkt, verdient eine tiefere Geschichtsschau auf diesen für das frühmittelalterliche Germanien und darüber hinaus so bedeutsamen Kirchenorganisator, um nur eine seiner so zahlreichen Funktionen zu benennen. Lückenhaft ist die historische Überlieferung über die ersten 40 Jahre seines Lebens, sehr gut quellengestützt aber die weiteren ungefähr 40 durch seine dichte Korrespondenz mit vielen für ihn wichtigen kirchlichen, politischen Zeitgenossen; mit gewissen Einschränkungen aber auch die Biographie, die zu schreiben dem angelsächsischen, in Mainz wirkenden Priester Willibald kurz nach dem Tod des Bonifatius vom Mainzer Erzbischof Lul übertragen wurde. Willibald ist Bonifatius nie selbst begegnet. Wynfreth/Bonifatius wurde 672/75 in Wessex, Angelsachsen, weder Geburtsdatum noch Geburtsort sind belegt, als Sohn vermutlich landadliger Eltern geboren, äußerte bereits als Kind den Wunsch Mönch zu werden, dies wohl hagiographisch überspitzt ausgedrückt wie Vieles in Willibalds Biographie. Wynfreth/Winfried bekam eine klösterliche Erziehung, später eine theologisch-wissenschaftliche Ausbildung, fiel auf durch seine Gelehrsamkeit, heute würden wir sagen durch einen höheren, wahrscheinlich hohen IQ-Wert, machte im Kloster Karriere, wurde Abt im Kloster Nursling, hielt Vorträge in und außerhalb der Klostermauern. Im damals fortgeschrittenen Alter von um die 40 entschied er sich seine krisensichere Position aufzugeben, nahm mit dem Papst in Rom Kontakt auf, um von ihm als Missionar auf den europäischen Kontinent gesandt zu werden. Eine planmäßige Missionierung in Europa war zu diesem Zeitpunkt, hier 719, in Rom noch nicht vorgesehen, Anstöße von außen wurden jedoch willkommen aufgenommen. Für ein genaueres Verständnis des historischen Zusammenhangs müssten wir nun einen kleinen Exkurs in den Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter machen, also in die vorbonifatianische Zeit, um das beachtliche Organisationstalent, die Schaffenskraft, die physische, psychische Kondition, die religiös-politischen Visionen des nun vom Papst benannten päpstlichen Legaten für Germanien namens Bonifatius einordnen und vielleicht auch hinreichend werten, vielleicht auch würdigen zu können.
Ende des 5. Jahrhundert war das Weströmische Reich politisch, militärisch, kulturell am Ende, bedingt durch zahlreiche systemimmanente Fehler des Reiches, aber auch durch gewaltige ethnische Völkerverschiebungen innerhalb Europas während des 4. bis 6. Jahrhunderts, der sogenannten Völkerwanderung. Hier handelte es sich vorwiegend um unterschiedliche germanische Stammesverbände, die sich nach dem Ende der Wanderungen als Volk der Franken, Alamannen, Baiern, Friesen, Sachsen, Thüringer, u.a. etablierten, teilweise in engem Kontakt mit der römischen Kultur. Die römische, katholische ( übersetzt mit „allgemein“) Kirche, die als Reichskirche bis dahin den universalen Anspruch auf das gesamte Imperium besaß, war in diesem Zeitraum weitgehend zurückgedrängt auf ihren Herrschaftsbereich in Rom, verfügte dennoch als einzige Institution noch über funktionierende Verwaltungsorganisationen in Westeuropa trotz z.B. des Verfalls der meisten Rheinbistümer. Vorherrschende Macht in der Neuformierung der Völker in West- und Mitteleuropa ist der Stammesverband der Franken. 498/99 bekennt sich Chlodwig, König des nun Fränkischen Großreichs in Reims gemeinsam mit den Großen des Landes durch die Taufe zum Christentum, das gesamte Reich wird somit christlich, der König zudem Schutzherr der Kirche. Chlodwig sieht das Fränkische Reich in der Nachfolge des Römischen, benutzt ähnlich wie seit dem 3. Jh. die römischen Kaiser das Christentum als gesellschaftliche Klammer um hier die noch verbliebene römische Kultur, vornehmlich in Gallien, am Ober- und Mittelrhein mit der fränkisch-germanischen zu verbinden, die Völker in diesem Vielvölkerstaat zu integrieren. Bezogen auf unser Thema „Bonifatius“ heißt das: Um 700 war das Fränkische Reich, dessen territoriale Ausdehnung im Osten auch bereits den Thüringer Raum erreicht hatte, nominell christianisiert. In den peripheren Gebieten des Reiches wie das der Friesen, Sachsen (teilweise heutiges Niedersachsen), der Chatten (Nordhessen), der Baiern, Thüringer hatte sich die Christianisierung noch nicht vollständig durchgesetzt. Die primäre Aufgabe des für Germanien eingesetzten Missionsbischofs war, groß formuliert, die wiederhergestellte Universalität der Kirche auch in den Reichrändern zu verankern, pagane Vorstellungen abzuschaffen. 721 beginnt Bonifatius sein Reformwerk mit dualer Absicherung sowohl durch den Papst und in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Herrschern, den Hausmeiern, ausgestattet mit Schutzbriefen zunächst von Karl Martell, später Karlmann. Es finden in den Gebieten Hessens, Thüringens, Bayerns nicht nur Massentaufen statt, sondern auch Neugründungen von Bischofssitzen wie Erfurt, Büraburg, Würzburg, Salzburg, Reaktivierungen der Rheinbistümer wie Trier, Worms, Köln, Speyer, um nur einige zu nennen. Diese neuen Bistümer förderten gleichzeitig die Urbanisierung des Reiches. Bonifatius Mission der Christianisierung, an anderen Stellen der Erneuerung der „reinen Lehre“, das in ständiger, intensiver Absprache mit dem Papst durch enge Korrespondenz und Romreisen, ist also verbunden mit dem Aufbau kirchlicher Verwaltungsstrukturen, parallel zur fränkischen Raumerschließung durch die Machthaber. Damit erhält sein Werk auch eine willkommene politische Dimension. Seine Diözesanaufteilung in Bayern ist übrigens teilweise bis heute erhalten. Nun zurück zum Jahr 721. In Hamanaburch, Amöneburg, also in Hessen, einer fränkischen Festung, beginnt Bonifatius, der in späterer Zeit den Beinamen „Apostel der Deutschen“ erhält, seine Missionsarbeit. Er trifft auf „verwildertes Christentum“ und beginnt den Mangel an christlicher Substanz zu füllen. Er gründet dort eine klösterliche Niederlassung, dann weiter ein Kloster in Fritzlar, eins in Fulda als Missionsstützpunkt, als künftigen Alterssitz und eigene Grablege, fällt in Geismar die Donareiche, wohl als eine Art Erziehungsmaßname, um nur einige Beispiele zu nennen. Christianisierung, Reform, Kirchenorganisation als seine vornehmlichen Aufgaben. Er stirbt im Juni 754 eines gewaltsamen Todes, wird damit zum Märtyrer und Heiligen der Kirche.
Zurück zur eingangs gestellten Frage, was wäre gewesen wenn ? 723 reist er nach Rom, d.h. er hatte eine gewisse Zeitspanne, 721 startet er in Amöneburg, auch auf unserem heutigen Kirchhügel nach dem Rechten zu sehen. Menhire kannte er mit Sicherheit aus seiner Heimat, man denke an Stonehenge, aus Westeuropa. Den Stein wird er gesehen haben oder dessen Existenz ihm zugetragen worden sein. Dass Menhire auch als pagane Kultsymbole (s. Zeitleiste) dienten, war bekannt. Aber ein wie hier 10 t schwerer Stein lässt sich nicht so leicht verschieben, auch nicht wie ein Baum fällen. Also, und das war damals im Zuge der Christianisierung durchaus üblich, errichtete man daneben einfach eine christliche Kapelle, der Menhir allerdings blieb außerhalb der Kirchmauer. Ein Authentizitätskriterium von Bonifatius am Langen Stein ist bis heute nicht erwiesen, und die Verfasserin dieses Artikels ist auch nicht fündig geworden bei der Durchsicht der bonifatianischen Korrespondenz und der Biographie des Willibald. Die Frage ob oder ob nicht Bonifatius persönlich am Langen Stein war, ist angesichts seiner Leistung, zum Beispiel die sogenannte Frankisierung, d.h. die politische, kulturelle Angleichung der Bevölkerung mit dem gleichzeitigem Einbau des christlichen Glaubens im Reich voranzutreiben, m.E. nicht essenziell. Stattdessen stelle man sich vor, 721/722: Der auch physisch Große lehnt in der Abendsonne am Langen Stein im später so benannten Ort und schaut beseelt auf den gegenüberliegenden Berg, auf Hamanaburch und den Platz neben sich. An beiden Stellen sind die Bauarbeiten in vollem Gange, dort für ein kleines Kloster, hier für eine Kapelle. Und fast dort wo er dann stand ,steht heute das Kleinod Langensteins, die Jakobskirche.

Literatur:

  • Briefe des Bonifatius, Willibalds Leben des Bonifatius 2011
  • Das Werden Hessens 1986
  • Schieffer, Theodor, Winfrid-Bonifatius und die Christliche Grundlegung Europas 1954