„Als die Friedhöfe überfüllt waren, begann man in Avignon, die Leichen in
die Rhone zu werfen, bis man schließlich zu Massenbestattungen in großen
Gruben überging. Überall starben die Kranken schneller, als die Gesunden
sie begraben konnten. Die Leichname wurden vor die Häuser geworfen, und
das erste Licht des Morgens enthüllte neue Leichenberge in den Straßen. In
Florenz sammelte die Compagnia della Misericordia die Toten ein. Die Mitglieder
dieser 1244 gegründeten Vereinigung waren in rote Gewänder gekleidet, sie
trugen rote Hüte und eine rote Gesichtsmaske, die nur die Augen frei ließ.
Konnten auch sie die Zahl der Todesopfer nicht mehr bewältigen, so lagen
die Leichen tagelang stinkend in den Straßen. Bald waren auch keine Särge
mehr zu bekommen, und die sterblichen Überreste der Menschen wurden
nur noch in Massengräber geschleift, in denen sie zum Teil von den
Familienmitgliedern selbst so notdürftig verscharrt wurden, »dass Hunde die
Leichen hervorzogen und auffraßen«.
Unter dem Eindruck der sich häufenden Todesfälle und der Furcht vor Ansteckung
starben die Menschen ohne Letzte Ölung und wurden ohne Gebet begraben,
eine Aussicht, die die letzten Stunden der Kranken verdüsterte. In England
erlaubte ein Bischof auch Laien, die Beichte zu hören, und wenn »kein Mann
zugegen war, dann eben eine Frau«, und wenn kein Priester erreichbar war,
dann »musste die Kraft des Glaubens helfen«. Papst Klemens VI. sah sich
gezwungen, für alle Seuchenopfer eine Generalabsolution zu erteilen, weil die
meisten ohne kirchlichen Beistand ins Grab gesunken waren.
»Und keine Totenglocke ertönte«, schrieb der Chronist von Siena, »niemand
wurde beweint, weil alle den Tod erwarteten . . . Die Menschen sagten und
glaubten: »Das ist das Ende der Welt.«
(….)
In abgeschlossenen Lebensräumen wie Klöstern und Gefängnissen bedeutete
der erste Seuchentote in aller Regel die Vernichtung aller, wie in den
Franziskanerklöstem von Carcassonne und Marseille, wo alle Mönche starben.
Von 140 Dominikanern in Montpellier überlebten nur sieben. Petrarcas (neben Dante
der berühmteste Dichter des mittelalterlichen Italien) Bruder Gherardo, ein
Kartäusermönch, beerdigte, einen nach dem anderen, 34 seiner Klosterbrüder und
auch noch den Prior. Nachdem nur noch er und sein Hund übriggeblieben waren,
machte er sich auf die Suche nach einem Zufluchtsort. Angesichts täglich
zunehmender Pestopfer rätselten die Überlebenden, ob Gott die Luft mit der
Krankheit verseucht hatte, um die menschliche Rasse auszulöschen.
Im irischen Kilkenny blieb der Bettelmönch John Clyn allein unter den toten Brüdern
zurück. Er schrieb eine Chronik dessen, was geschehen war, damit »nicht wichtige Dinge
mit der Zeit verschwinden und der Vorstellung unserer Nachkommen fremd bleiben«.
Er glaubte, dass »die ganze Welt, so wie sie war, in der Hand des Bösen lag«.
Während er selbst auf den Tod wartete, schrieb er: »Ich hinterlasse Pergament,
um die Arbeit fortzusetzen, und wenn nur ein einziger Nachkomme Adams diese Pest
überlebt, soll er die Arbeit weiterführen, die ich begann.« Bruder John, so notierte
eine unbekannte Hand, starb an der Pest, aber er entrann dem Vergessen.“